Keine Berührungsängste
In der Independent-Comic-Szene, in der ich mich hier bewege, gibt es keine Berührungsängste zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen, auch keinen Unterschied zwischen „Fans“ und „Stars“, und erst recht nicht zwischen jung und alt. Jeder ist auch irgendwie kreativ, und jeder interessiert sich für jeden anderen. So ist es einfach üblich, sich gegenseitig Autogramme abzuluchsen, und bei Comic-Zeichnern heißt das nicht einfach, seinen Namen hinzuschreiben, sondern es wird auch gleich eine kleine Originalzeichnung angefertigt, gerne nach persönlichen Wünschen. Selbst Berühmtheiten wie Benoît Sokal (INSPEKTOR CANARDO) nehmen sich minutenlang Zeit für jede einzelne persönliche Widmung.
Einzig zwischen den Welten der klassischen westlichen Comics und der japanischen Mangas, die beide auf dieser Messe vertreten sind, scheint es noch eine merkliche Kluft zu geben: Da gibt es Manga-Leser, die keine Ahnung haben, wer Tim und Struppi sind, und Comic-Fans, die nicht wissen, was Tokyopop ist.Ein Comic-Festival, so lerne ich schnell, hat eine etwas andere Atmosphäre als die SF-Cons, die ich so kenne. Alles etwas jünger vielleicht, und deutlich sexier. Es ist durchaus üblich, dass Besucher in Kostümen aller Art auftreten: So trifft der Sensenmann aus Joscha Sauers NICHTLUSTIG auf Schlumpfine, da drüben kommen schon Poison Ivy und Wonder Woman, und hauteng lila kostümiert läuft eine weitere fabelhafte Superheldin an unserm Stand vorbei. Mit gekonntem Blick gelangen wir zu der Erkenntnis: Catwoman trägt Unterwäsche! Spidey zum Glück auch. Er ist jedoch an diesen Tagen außer Form und präsentiert sich uns zwar in vollem Kostüm, aber mit Bauchansatz.
Maikel empfiehlt, dass wir uns am Abend eine Preisverleihung im Großen Rathaussaal ansehen, dort wo sonst der Erlanger Stadtrat tagt. Vergeben wird der Independent-Comic-Preis der ICOM (Interessenverband Comic e. V.), unter deren Ägide der Comic-Salon einst gegründet wurde. Unter anderem werden zwei „Sonderpreise der Jury“ vergeben. Einen erhält unser Freund Levin Kurio, der mit seinem Weißblech-Verlag Reihen wie HAMMERHARTE HORROR-SCHOCKER, WELTEN DES SCHRECKENS und SCHAURIGER SCHUND herausgibt, Pulp-Trash, der richtig Spaß macht. Und dann geht der „Sonderpreis der Jury für eine bemerkenswerte Comicpublikation“ an unsern PERRY! Der Berliner TAGESSPIEGEL kommentiert später: „Eine weitere Lanze für den Trash, das lässt hoffen.“ So macht ein Comic-Festival natürlich Spaß.Wir trinken, flirten, schmieden Pläne, bewundern Artwork und weibliche Formen. Während der ganzen vier Tage treffen sich Zeichner, Autoren, Verleger und Redakteure und quatschen über neue Projekte. Mal
sehen, was draus wird. Ich werd jetzt jedenfalls erstmal ein paar Comics lesen. Und schreiben.
OLAF BRILL
*Dank an Thomas Vorwerk für die Inspiration zu diesem Titel.